Geschichte der Bouviers

Dienstag, 09. Februar 2010 18:56:15

Es finden sich zahlreiche gesicherte Informationen über die Anfänge der Rasse und ihre frühe Entwicklung. „Bouvier“ kommt aus dem Französischen und bezeichnet schlicht und einfach eine Person, die Rinder hütet; es bedeutet also „Rinderhirte“ und, hievon abgeleitet, auch „Rinder-Hund“. Die gleiche Bedeutung hat auch das holländische „Koehond“. Viele typisch flämische Bezeichnungen sind für den Bouvier des Flandres gefunden worden, z.B. „Boever“, „Pikhaar“ (Stachelhaar) oder „Pik“ auf Grund seines borstig, rauen Haars, oder auch „Vuilbaard“ (=schmutziger Bart), was natürlich auf seinen Schnauz- und Kinnbart hinweist, der, wenn nass, leicht verschmutzt. Der vollständige Name, unter dem die Rasse offiziell anerkannt ist, lautet „Bouvier des Flandres“, d.h. „Flandrischer Treibhund“. Wie der Name schon sagt, liegt der Ursprung der Rasse in Flandern, das sich im Mittelalter vom Gebiet des heutigen französischen Département du Nord über die belgischen Provinzen Ost- und Westflandern bis hin zur holländischen Provinz Selland erstreckte. Da Flandern, das Herkunftsgebiet der Rasse, somit zum einen Teil zu Belgien, zum anderen zu Frankreich gehörte, hat die Rasse logischerweise auch zwei Ursprungsländer: Belgien und Frankreich. Folglich sind auch diese beiden Länder gemeinsam für den offiziell von der FCI (Fédération Cynologique Internationale) anerkannten Rassestandard des Bouvier des Flandres verantwortlich.  

Die Wiege der Rasse stand in einem Kloster!

Dank der Forschung des Louis Huyghebaert, jener führenden kynologischen Autorität Belgiens, der 1948 in der belgischen Hundezeitschrift L’Aboi („Gebell“) in einem Artikel die Geschichte des Bouviers umfassend darstellte, wissen wir, dass die Mönche des Klosters Ter Duinen erstmalig Bouviers des Flandres züchteten. Gleichzeitig wies er jedoch auch drauf hin, dass die Bouviers in jener Zeit eigentlich zu gewöhnlich und zu rustikal (also zu grob und zu wenig edel) waren, um den Namen eines Heiligen zu tragen. Die Abtei Ter Duinen wurde 1107 in Coxyde an der Westküste Flanderns gegründet und entwickelte sich mit der Zeit zum größten und bekanntesten Kloster Flanderns. Die Mönche unterhielten eine eigene Schiffsflotte, die sie unter anderem dazu nutzten, Hunde aus England zu importieren – besonders große, grau gestromte Windhunde mit rauem Haar, von denen man annimmt, dass es Deerhounds und Irish Wolfhounds waren. Diese importierten Hunde wurden mit einheimischen Bauernhunden verpaart. Durch entsprechende Zuchtselektion entstand auf diese Weise ein großer, ruhhaariger Hund, den man als den Urvater des Bouviers des Flandres ansieht. Diese Vorfahren des Bouviers waren ausgezeichnete Wach- und Schutzhunde und gleichzeitig sehr gute Viehtreiber. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts war der Bouvier des Flandres vornehmlich der Gehilfe des Bauern. Zu den vielfältigen Aufgaben des Bouviers zählten das Bewachen und das Treiben der Viehherden, das Ziehen und das Antreiben der Butterfässer. Er war Zughund für Milch- und Käsewagen und trieb in Mühlen die schweren Mühlsteine an. Angeblich haben die Bauern seine Rute kupiert, um Verletzungen bei der Arbeit vorzubeugen und das Anlegen der Zuggeschirre zu erleichtern. Seine Ohren wurden kupiert, damit man in ihm schon auf den ersten Blick den Arbeitshund erkennen konnte – zu jener Zeit musste man nämlich nur für Haushunde Steuern zahlen! Der internationalen Hundeausstellung in Brüssel vom 21. bis zum 23. Mai 1910 kam hinsichtlich der Rasseentwicklung besondere Bedeutung zu, obwohl dort nur zwei Bouviers gezeigt wurden – der Rüde Rex (Pic X Bella) und die Hündin Nelly (Beer X Sarah) – beide im Besitz von Herrn L.Paret aus Gent. Zuchtrichter der Rasse war der schon eingangs erwähnte L. Huyghebaert, der sich von der Qualität dieser beiden Hunde äußerste beeindruckt zeigte. Noch in seinem Artikel in L’Aboi im Jahre 1948 – also nicht weniger als 38 Jahre später! – erinnerte er sich an diese beiden Hunde; er hob ihren ausgezeichneten Charakter hervor und er wiederholte, was er schon Jahrzehnte vorher gefordert hatte: dass der Bouvier rau und rustikal, gleichsam wie ein ungehobelter „Klotz“, sein müsse. Jener L. Paret gilt heute mit seinem Rüden Rex und der Hündin Nelly als der Begründer der wichtigsten Blutlinien der Bouviers des Flandres unserer Zeit. 1912 wurden der erste Rassestandard vom damals existierenden Belgischen Kennel Club erstellt (der übrigens nicht der FCI angehörte, obwohl diese ihren Sitz in Belgien hat!).

Die Weltkriege

Die Weltkriege forderten ebenso wie von zahlreichen anderen Hunderassen auch vom bouvier des Flandres ihren Tribut, und es ist ausschließlich den Bemühungen einiger engagierter Züchter zu verdanken, dass er dennoch überleben konnte. Der schnelle Fortschritt in der Entwicklung der Rasse, der sich nach der Erstellung des Rassestandards 1912 endlich eingestellt hatte, wurde vom 1.Weltkrieg abrupt gestoppt. Bei Kriegsende 1918 war fast die gesamte Bouvier-Population praktisch ausgerottet, da ihr Heimatland vom Krieg völlig verwüstet war. Nur einige wenige Bouviers hatten überlebt. Als kleiner Trost mag uns die Tatsache dienen, dass die Bouviers, die im Krieg eingesetzt wurden, sich als Militärhunde, genauer gesagt als Sanitäts- und Meldehunde, hervorragend bewährten. Nach dem Krieg gestaltete sich der Wiederaufbau der Rasse verständlicherweise sehr schwierig. Auf den Hundeausstellungen für alle Rassen waren nur wenige Bouviers vertreten. Dennoch verdient sich in diesem Zusammenhang die Olympische Ausstellung in Antwerpen im Jahre 1920 besondere Erwähnung, auf der immerhin 16 Bouviers vertreten waren, darunter der legendäre Rüde „Nic“, der stets den ersten Platz errang und 1921 Belgischer Champion wurde. Nics Herkunft ist unbekannt, aber man weiß, dass er zunächst einem Freund der Rasse gehörte, der in der Gegend von Poperinge (im Süden Westflanderns) lebte; danach erwarb ihn der Tierarzt Captain Barby, der in der belgischen Armee diente und später zum Major befördert wurde. Nic wurde zum Militärhund und als solcher speziell für den Grabenkrieg ausgebildet; er diente drei Jahre. Nach dem Krieg machte er Station im Zwinger „Sotegem“, der von Major Darbys Bruder geführt wurde, und ging dann in den Zwinger „de la Lys“ des Züchters Gryson. Dieser letztgenannte Zwinger war zweifellos in der Nachkriegszeit von überragender Bedeutung für die Rasse, und Ch. Nic, einer der wenigen Überlebenden des 1.Weltkriegs, muss mit fug und Recht als der berühmteste Vorfahre und Stammvater der modernen Bouviers des Flandres genannt werden. Er erwies sich als hervorragender Vererber und hinterließ, als er 1926 starb, zahlreiche ihm ebenbürtige Nachkommen. Auch nach dem Krieg setzten sich die Diskussionen und die Auseinandersetzungen über den anzustrebenden Rassetyp und das korrekt Haar fort, insbesondere wegen der nunmehr dringenden Notwendigkeit, endlich auf einen einheitlichen Rassetyp hin zu züchten und zu selektieren. Immerhin waren kleine Fortschritte zu verzeichnen, und schließlich erstellte am 25. April 1937 eine französisch-belgische Kommission, die sich aus renommierten Zuchtrichtern beider Länder zusammensetzte, einen gemeinsamen Rassestandard, der den einzig korrekten Bouvier des Flandres sehr präzise in allen Einzelheiten beschrieb. Kaum drei Jahre später brach der 2.Weltkrieg aus. Damit begann ein erneuter Überlebenskampf des Bouvier des Flandres, wieder erlitt die Bouvier-Population schreckliche Verluste. Die Folgen des Krieges waren auf der ganzen Welt so schlimm, dass die Existenz der Rasse ernsthaft bedroht war. Trotzdem überlebte sie auch dieses Mal. Die Rekonstruktion der Rasse ging zwar langsam voran, aber die Züchter machten diesmal immerhin erstmals echte Fortschritte in Richtung des korrekten Typs. Es dauerte zwar noch einige Jahre, bis Einmütigkeit über das erwünschte Erscheinungsbild und den anzustrebenden Typ des Bouviers des Flandres herrschte und bis man die Rasse zu Recht als „genetisch fixiert“ bezeichnen konnte, aber 1963 endlich war dieses entscheidende Ziel dank energischer züchterischer Bemühungen erreicht: Die Bouvier Clubs Frankreichs und Belgiens akzeptierten einen klubübergreifend allein gültigen Standard, der schließlich 1965 auch von der FCI offizielle Anerkennung erlangte.

Chastel und die modernen Schöpfer der Rasse

In diesem Kapitel wollen wir einige herausragende Persönlichkeiten der belgischen Hundeszene würdigen, die sich um den Bouvier des Flandres besondere Verdienste erworben haben. An erster Stelle sei hier Félix Verbanck genannt, ein international hoch angesehener Richter und engagierter Züchter, der nicht nur der langjährige Sekretär des Belgischen Bouvier des Flandres Clubs war, sondern auch ein engagierter Förderer der Rasse. Sein Rat wurde von allen Züchtern hoch geschätzt und gern befolgt, sogar von denjenigen in Amerika. Laut J. Du Mont war Felix Verbanck der eigentliche „Schöpfer“ der Rasse Bouvier des Flandres. Félix Verbanck hingegen sparte nicht mit Worten, wenn er die Verdienste von Justin Chastel, dem Inhaber des renommierten Zwingers „de la Thudinie“, hervorhob. Nach seiner Meinung war niemand anders als Justin Chastel der Schöpfer des modernen Bouviers – seine Zuchtlinien waren von so außergewöhnlicher Qualität, dass sie Maßstäbe für den korrekten Rassetyp setzten. Justin Chastel erschien 1930 auf der Bildfläche der Bouvier-Szene, als ihm sein Patenonkel einen Bouvier des Flandres zum Geschenk machte. Der erste Bouvier, der seinen eigenen Zwingernamen trug, hieß Lucifer de la Thudinie. 1943 züchtete er Soprano de la Thudinie, der, wie er selbst sagte, „der Hund seines Lebens“ war. Soprano errang eine endlose Reihe von Champion-Titeln. In den folgenden Jahren dominierten die Bouviers aus dem Zwinger „de la Thudinie“ im Ausstellungsring immer stärker, und auch züchterisch waren sie führend. Auf der ganzen Welt gingen viele der besten Bouviers auf die Blutlinie „de la Thudinie“ zurück. Chastel wurde zu einer Bouvier-Autorität und avancierte zum einflussreichen Berater, der übrigens stets die Gebrauchstüchtigkeit der Rasse in den Vordergrund stellte. Er veröffentlichte seine Grundsätze und seine ansichten in Zeitschriften und verfasste die Rassemonographie „Le Bouvier des Flandres hier et aujourd’hui“ (Der Bouvier des Flandres gestern und heute). Viele Menschen machen sich Gedanken über das Wesen, das weiche Haar und das exzessive Trimming der heutigen Ausstellungshunde. Deshalb ist es interessant, den folgenden Auszug aus seinem Artikel von Chastel über das Wesen der Rasse zu lesen: „…Der Bouvier hat nichts von einem ‚Dandy’. Sein Charme liegt größtenteils in seinem Charakter. Sehen Sie nur den fast menschlichen Blick unter den zotteligen Augenbrauen! Wenn er diesen Vorzug verlöre, was bliebe von ihm übrig?“ Ein weiterer bekannter Züchte war Félix Grulois, der mit Chastel zusammenarbeitete und ab 1960 zahlreiche Hunde in die USA exportierte. Er war Inhaber des Zwingers „du Posty Arlequin“, den er 1954 gründete.  

Der Bouvier auf dem Kontinent

Bereits in den letzten Dekaden des 20.Jahrhunderts nahm die Beliebtheit der Bouviers in den meisten Ländern Europas stetig zu. Besondere Bedeutung die Rasse naturgemäß in ihren beiden Ursprungsländern, Belgien und Frankreich, aber auch in den Niederlanden genießt sie allergrößte Popularität. Bei den Eintragungen steht die Rasse in Belgien an dritter Stelle unmittelbar hinter dem Deutschen und dem Belgischen Schäferhund. Am Ende des 20.Jahrhunderts wurden bereits ungefähr 1100 Bouviers pro Jahr registriert, und der Belgische Bouvier des Flandres Club, gegründet 1922, ist einer der aktivsten Rassezuchtvereine in Belgien. In den Niederlanden war der Bouvier zu Anfang der 1980er Jahre die beliebteste Rasse überhaupt – er übertraf sogar den allgegenwärtigen Deutschen Schäferhund, was auf dem Kontinent zu jener Zeit unmöglich schien. 1984 wurden über 10.000 Bouviers registriert. Diese Zahl ging mit den Jahren etwas zurück, aber auch in der jüngsten Vergangenheit stand der Bouvier immer noch auf Platz fünf der Beliebtheitsskala. Auf Grund dieser Popularität errangen die Niederlande eine führende Position in der Bouvier-Welt. Die holländischen Zuchtlinien und Zwinger (wie zum Beispiel „van Dafzicht“, „van de Overstort, „van het Molengat“, "van de Vanenblikhoeve“ und andere mehr) wurden berühmt, und zahlreiche Bouviers wurden nach Amerika exportiert. Allerdings gab es Probleme und Auseinandersetzungen, als zwei Bouvier-Typen herauszubilden schienen: der Ausstellungshund und der Gebrauchshund, mit Unterschieden in Wesen, Körperbau und Haar. Anfang der 70er Jahre sprachen die Richter vom Bouvier des so genannten „holländischen Typs“ und des „französisch-belgischen Typs“. Man sollte das Problem jedoch keinesfalls überbetonen: Schon vor vielen Jahren vermischten sich schließlich etliche existierende Typen zu dem einzig echten Bouvier des Flandres, und zudem muss jeder Bouvier-Experte anerkennen, dass viele Vorzüge der holländischen Hunde deutliche Verbesserung für die Rasse gebracht haben, und dass heute große Schritte in Richtung des einheitlichen Rassetyps bereits getan sind. Zum Charakter der modernen Bouviers ist zu sagen, dass sie weder scheu noch aggressiv, hingegen sehr selbstbewusst sind. Der Bouvier unserer Tage ist besser einem Leben als Begleithund angepasst und entspricht den neuen Anforderungen, die sich in unserer zunehmend hundefeindlichen Gesellschaft stellen, aber er ist deshalb keineswegs ein „Softie“. In Frankreich gehört der Bouvier des Flandres nicht zu den beliebtesten Rassen, wird aber dennoch wegen seiner Eignung als Gebrauchs-, Wach- und guter Familiehund geschätzt. Der französische Rasseclub ist sehr aktiv und gibt regelmäßig eine eigene Informationsschrift heraus. Auch in anderen europäischen Ländern ist die Rasse gut bekannt und geschätzt. Die Rassespezialklubs in diesen Ländern sind äußerst aktiv und organisieren regelmäßig Spezialzuchtschauen nur für Bouviers des Flandres.

Quelle: Textauszüge aus Dr. Robert Pollet
Bouvier des Flandres
bede-Verlag  ISBN 3-898 60-064-5